Turnhalle
Der Mohr auf dem Eis
Es gibt Sportarten, deren Regeln erklären sich beim intensiven Passivstudium von allein. Zwar bewegt sich meine Schwiegermutter seit der WM 2006 beim Erläutern der Abseitsregel immer noch auf dünnem Eis, doch zumindest weiß sie, dass man beim Fußball im Abseits stehen kann ohne wirklich allein zu sein.
Es gibt aber auch Sportarten, bei denen man trotz Sportstudium und wissenschaftlicher Durchleuchtung im Dunkeln tappt. Dazu gehört für mich das Eisstockschießen. Und nicht nur die Regeln dieses Sportspiels, welches insbesondere im Alpenraum weit verbreitet ist, nein, auch die Sprache der Aktiven blieb für mich bis zu diesem Wochenende ein Rätsel, trotz ebenfalls abgeschlossenem Germanistikstudium.
Dann kam der Sepp, übrigens der Bruder meiner Schwiegermutter, und ich bin überzeugt davon, dass in jeder bayerischen Stockschützenrunde mindestens ein Sepp zugegen ist, ein Hans freilich auch. Neben diesen beiden führten mich der Bobby, der Tom, der Erich, der Martin und der Wolfgang aufs Spitalhofer Glatteis. Den Altersdurchschnitt konnte ich erheblich senken, denn normalerweise müssen die Schützen, so scheint es, offensichtlich entweder graue oder gar keine Haare mehr auf dem Kopf haben. Warum das so ist, kam mir beim Betreten der gefrorenen Lohe zu Ohren. Knack. Dieses Geräusch lies mich, den gelernten Rettungsschwimmer, sofort in die Waagrechte gehen und übers Eis ans rettende Ufer robben. Die erfahrenen Herren folgten meinem Beispiel – nicht, brachen dafür aber in schallendes Gelächter aus, statt ins Eis ein, versuchten dann aber Verständnis zu zeigen: „Der Bua hat doch sei Familienplanung noch net abgschlossen.“ Gelächter.
Erheitert standen also meine sieben Mitspieler um einen etwa zehn Meter langen Riss aus dem beruhigend das Wasser plätscherte und stellten die zweite „Daubn“ auf. Ich hatte zwar schon gehört, dass man eine Kuh aufs Eis bringen kann, nicht aber eine Taube. Doch man kann. Bei den „Daubn“ handelt es sich nämlich um die zwei Ziele, denen man sich beim Eisstockschießen annähern muss, nachdem man die zwei „Fuaßn“ geschlagen hat. Meine nervenstarken Eiskameraden hämmerten also jeweils eine Grube an den beiden Ende der Spielbahn in etwa 20 Meter Entfernung ins Eis, die dazu dienen, dem Fuß auf der Seite, mit der auch der Eisstock geschoben wird eine Abdruckmöglichkeit und Stabilität zu geben. Knack, hieß die Antwort des Eises, welches mit Sicherheit keiner Kuh standgehalten hätte. Ich auf allen Vieren, 110-Kilo-Hans lachend neben mir. Mit ernster Miene versicherte er mir, dass es sich um ein ganz gesundes Knacken handle, denn nur so verliere das Eis seine Spannung. Meine Anspannung wuchs.
Ein Probestoß sorgt für die erste Mannschaftsverteilung. Die „Weidn“ spielen gegen die „Engen“. Wer also bei seinem ersten Versuch nah bzw. eng an der „Daubn“ liegt, bildet eine Mannschaft. Da mein Stoß etwas leise ist, gehöre ich zunächst zu den „Weidn“. Ein leiser Stock kommt nämlich weit vor dem Ziel zum stehen, währen ein lauter über dieses hinausschießt.
Das Schützenfest kann beginnen. Einer der „Weidn“ versucht „ozumassn“, also seinen Stock nah an der „Daubn“ zu platzieren. Nun bemüht ein Spieler der „Engen“ sich, den Stock des Gegners zu verdrängen oder sein Sportgerät ohne Zusammenstoß dichter an das Ziel zu schieben. In der Folge muss die Mannschaft, die weiter vom Ziel entfernt liegt so lange schieben, bis einer ihrer Stöcke näher an der „Daubn“ liegt. Wenn alle Stöcke gespielt sind, bekommt diejenige Mannschaft Punkte, deren Stock dem Ziel am nächsten ist. Natürlich kann es sich hierbei auch um mehrere Stöcke handeln. Danach wird von der anderen Seite des Spielfeldes zurückgestoßen, bis eine Mannschaft zwölf Punkte hat. Am Ende jeder Runde bilden sich aus den Schiebern der eng liegenden Stöcke und den Schiebern der weiter weg liegenden Stöcke neue Mannschaften und eine neue Runde des „Mensch ärgere Dich nicht on ice“ beginnt.
Zwar kann man sich in diesem Spiel tatsächlich schwarz ärgern, wenig politisch korrekt kommt aber nur bei ungerader Spielerzahl der Mohr aufs Eis. Der Mohr spielt immer bei dem Team, welches in Unterzahl ist und darf zum Ausgleich zwei Stöcke schieben. Dabei ist der Mohr immer derjenige, welcher am Schluss der letzten Runde seinen Stock am nächsten an die „Daubn“ bringen konnte.
Ach ja, der allererste Stock der am dichtesten an der „Daubn“ liegt zählt sechs Punkte, die folgenden aber nur drei. Mit drei Siegerstöcken steht also bereits ein Sieger fest. Warum so gerechnet wird, habe ich bis heute nicht begriffen, aber Mathematik habe ich ja auch nicht studiert. Der Sepp wusste es auch nicht, hat mir aber einen Zeitungsartikel aus der Lokalzeitung vom Wochenende zukommen lassen: „Im Eis eingebrochen: Feuerwehrmann als Retter"
Knack!